Warum das Treffen von Entscheidungen eine, wenn nicht die, Kernaufgabe von Managern und Startups ist. Und wie durch das (pro)aktive Treffen von Entscheidungen Einfluss auf das genommen wird, was wichtig ist. - Ein Interview mit dem Experten Prof. Dr. Johannes Siebert.

In der Praxis investieren Entscheidungsträger_innen zumeist den größten Teil ihres Aufwands in die Bewertung von Alternativen. Dabei wird jedoch keinesfalls sichergestellt, dass die bestmöglichen Alternativen tatsächlich auch zur Wahl stehen. Value-focused Thinking postuliert hingegen, dass Entscheider_innen zunächst intensiv über ihre Values und Ziele nachdenken sollen und diese anschließend systematisch zur Identifikation von mehr und besseren Alternativen heranziehen sollen. Darüber sprach Johannes Siebert am Rande des Veranstaltungsformates MORNING_GLORY des Gründer- und Unternehmenszentrums Werkstätte Wattens und über einfach anwendbare Methoden, wie Entscheidungen mit weit weniger Aufwand gemeistert werden und wie Unternehmer_innen dabei deutlich bessere Resultate für ihr Unternehmen erzielen können. Die Relevanz des Themas wurde auch durch die weit überdurchschnittliche Zahl von Interessierten sowie der aktiven Diskussion nach dem Vortrag deutlich.

Was versteht man unter proaktiven Entscheiden?

In der Praxis identifizieren Entscheidungsträger zumeist mit relativ wenig Aufwand die offensichtlichen Alternativen und investieren im Anschluss einen erheblichen Aufwand in deren Bewertung. Dabei wäre es zielführender zuerst sicherzustellen, dass die bestmöglichen Alternativen auch zur Wahl stehen. Ralph Keeney (Duke University) bezeichnet diese rückwärtsgewandte und reaktive Vorgehensweise als „alternative focused“ und empfiehlt, mehr Aufwand in die Erforschung der eigenen Ziele zu investieren und diese anschließend systematisch zur Entwicklung möglichst guter Alternativen einzusetzen. Diese proaktive Vorgehensweise bezeichnet er als „value focused“ (im Deutschen: proaktives Entscheiden). Weitere Informationen finden Sie auch auf www.proaktiv-entscheiden.de.

Wieso ist Entscheiden für viele Menschen so schwierig?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Mit jeder Entscheidung, die Sie jetzt treffen, reduzieren Sie automatisch auch den Raum für zukünftige Entscheidungen. Wenn Sie beispielsweise Ihre gesamten Ersparnisse in den Kauf einer Wohnung investiert haben, können Sie nicht in eine andere Wohnung investieren, da schlicht keine finanziellen Ressourcen mehr vorhanden sind. Darüber hinaus hat kaum jemand systematisch gelernt, wie smarte Entscheidungen getroffen werden. Daher sehen viele Menschen Entscheidungen als „Probleme an, die gelöst werden müssen”. Diese Probleme werden zumeist nicht klar strukturiert. Wenn man nicht genau weiß, was man will, kann man es auch nicht erreichen.

Wie können Unternehmer Entscheidung smart treffen?

In der Forschung sprechen wir bei einer smarten Entscheidung von einer hohen Entscheidungsqualität. Eine hohe Entscheidungsqualität kann dadurch erreicht werden, dass im Vorfeld einer Entscheidung systematisch die relevanten Ziele identifiziert werden. In zahlreichen Experimenten und Praxisfällen konnte gezeigt werden, dass bereits hier ein großes Defizit vorliegt. Viele Entscheider lassen diesen Schritt aus und sind sich in der Folge der für sie relevanten Ziele eben nicht bewusst. Darüber hinaus sollte mehr Aufwand in die Erforschung attraktiver Alternativen investiert werden. Des Weiteren ist es wichtig, die Konsequenzen der Alternativen in den einzelnen Zielen klar zu beschreiben. Dafür ist eine zielgerichtete Suche entscheidungsrelevanter Informationen erforderlich. In der Praxis machen viele Unternehmen den Fehler, möglichst viele Informationen zu sammeln. Viel effektiver erweist sich, die für die Entscheidung relevanten Informationen zu suchen. Als Orientierungshilfe dienen hier die Ziele, die das Unternehmen verfolgt.

Weshalb haben Sie das Thema Entscheidung zu ihrem Forschungsgebiet gemacht?

Ein wichtiges Ziel, das ich in meinem Leben verfolge, ist etwas für die Gesellschaft beizutragen. Das Treffen von Entscheidungen bietet hier einen unglaublichen Hebel, zum einen die Lebensqualität von Individuen zu verbessern als auch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu erhöhen.

Ein kleines Beispiel

Die erste Entscheidung viele junge Menschen ist die, „was mache ich nach der Schule?“ Zumeist werden allenfalls unterschiedliche Möglichkeiten vorgestellt. Häufig wählen junge Menschen dann eine von den offensichtlichen oder von anderen Personen vorgeschlagenen Alternativen, ohne sich intensiver damit auseinanderzusetzen, was sie persönlich eigentlich wollen und was ihre Ziele sind. So hört man häufig von Jugendlichen: „Meine Mutter ist Ärztin, also studiere ich Medizin“, oder „Mein Vater ist Unternehmer. Ich studiere BWL“, oder aber auch „Meine Eltern haben nicht studiert. Ich soll auf keinen Fall den gleichen Fehler machen“. Grundsätzlich mögen diese Entscheidungen objektiv gesehen „vernünftig“ erscheinen; im Einzelfall ist es jedoch dringend notwendig, die Interessen, Wünsche und Voraussetzungen jedes/r Einzelnen individuell zu berücksichtigen.

Vor der Wahl des Studienfaches sollte sich jeder die zentrale Frage stellen, ob Ausbildung oder Studium besser zu den Zielen und Wünschen eines jungen Menschen passen. Diese wird heute allerdings häufig komplett außen vorgelassen. In der Folge dessen und aufgrund von schlechten Vorabwägungen bei der Karriereentscheidung brachen im Jahr 2015 28 Prozent aller Bachelorstudierenden ihr Studium ab und 25 Prozent der Ausbildungsverträge wurden vorzeitig gekündigt. Neben ökonomischen Folgen wie etwa erhöhten Ausbildungskosten oder Fachkräftemangel kommt es auch zu teilweise erheblichen individuellen Folgen, da der Abbruch eines Ausbildungswegs oft als schweres Scheitern angesehen wird.

In einem großen Forschungsprojekt in Nordbayern untersuchen wir, wie jungen Menschen am besten in Entscheidungskompetenz trainiert werden können, damit sie gut gerüstet sind, die Entscheidungen, die ihr Leben maßgeblich beeinflussen, besser und proaktiver treffen können. Es ist für mich sehr erfüllend, wenn ich im Nachgang von Unterricht bei Schülern, Lehrveranstaltungen an der Hochschule oder auch erst viel später Emails erhalte, in denen beschrieben wird, wie sehr sich die Lebensqualität durch proaktives Entscheiden verbessert hat. Natürlich freut es mich auch sehr, wenn Organisationen, die ich beraten habe, sich positiv entwickeln und sie dieses auch auf proaktives Entscheiden zurückführen. Das ist gewiss auch wichtig. Aber Menschen zu helfen, ist für mich wirklich inspirierend.

Wo finden Interessierte weitere Informationen zu dieser Thematik?

Als Einstieg bietet sich ein kurzer Artikel, in dem Kollege Prof. von Nitzsch (RWTH Aachen) und ich anhand der Jobwahl eines Absolventen die Vorgehensweise proaktiven Entscheidens illustrieren. Darüber hinaus kann auch ein Video von Ralph Keeney empfehlen.

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